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Woche 2 – das Bildungssystem der 0-6-jährigen Kinder in Spanien

Auch über das Bildungssystem in Spanien habe ich viel gelernt: Von 0 bis 3 Jahren besuchen die Kinder den Kindergarten (jardín de infancia oder guardería), was in Deutschland der Krippe entspricht. Von 3 bis etwa 6 Jahren besuchen fast alle Kinder die freiwillige Vorschule (educación infantil oder educación prescolar). Bis dahin müssen sie bereits windelfrei sein. Erzieher werden auch eher als Lehrer (maestro oder profesor de infantil) bezeichnet wie ich in Gesprächen mit Spaniern feststellen musste. Anfangs war ich noch verwirrt als man mich als „maestra“ oder „profesora“ betitelte. Ich dachte, man hätte mich falsch verstanden, aber die sogenannte „educación infantil“ umfasst die Bildung der Kinder von 0 bis 6 Jahren. Der Begriff „educador“ für Erzieher scheint nicht so geläufig zu sein. 

Vorschulen sind grundsätzlich in den Grundschulen integriert. Alternativen gibt es kaum. Kindergärten für 3 bis 6-jährige sind sehr selten und grundsätzlich privat. Dafür sind (Vor-)Schulen bis auf das Essen kostenlos. Ich durfte an einem Tag in die Vorschule gehen, damit ich mir ein besseres Bild davon machen konnte. Die Vorschule, die ich besuchte, ist Teil einer Grundschule, hat aber ein eigenes Gebäude, einen eigenen Pausenhof und einen eigenen Eingang. Der Unterricht beginnt erst um 9 Uhr. Ein paar Minuten vorher läuft Popmusik, die statt einer Klingel anzeigt, dass es gleich losgeht und die Schüler die Schule betreten sollen. Ansonsten gibt es zwischen den Unterrichtsstunden und -phasen weder eine Klingel noch Musik. Unterrichtsbeginn und -ende werden so lediglich durch den Lehrer festgelegt. Es gibt in dieser Vorschule drei Gruppen mit 3-jährigen (je 20 Kinder), zwei mit 4-jährigen und zwei mit 5-jährigen (je 25 Kinder). Alle Klassenräume haben einen Beamer, eine Tafel und eine Leseecke. Je jünger die Gruppe ist, desto eher sieht der Raum noch wie ein Kindergartenraum aus. Von 9:00 bis 9:45 dürfen die Kinder sich in ihrer Gruppe oder im Flur am pädagogischen Material bedienen. Diese Phase wird „entrada relajada“ (=entspannter Eingang) genannt. Mithilfe des pädagogischen Materials können die Kinder verschiedene kognitive und auch feinmotorische Fähigkeiten trainieren, wie z.B. das Nachmalen einer Linie, das Zuordnen von Formen und Farben, Erkennen von Reihenfolgen durch Logik etc. Die Wahl des Materials, mit dem sich die Kinder beschäftigen wollen, liegt in dieser Zeit bei ihnen. Von 9:45 bis 10:15 sind die Kinder in ihrer Gruppe, wo sie schauen, wer heute da ist oder fehlt, wie das Wetter heute ist, welcher Tag heute ist und was heute alles ansteht. Alles wird mit Objekten visualisiert. Die Gruppen mit 3-jährigen haben Holzplättchen mit ihren Namen in Druckschrift in Großbuchstaben drauf, auf der Rückseite ist je ein Bild des jeweiligen Kindes, weil sie die Buchstaben und Namen erst noch lernen müssen. Die 4- und 5-jährigen haben stattdessen Steine ohne Bilder der Kinder auf der Rückseite, dafür steht bei den 5-jährigen auf der Rückseite der Name nochmal in Schreibschrift, weil diese nun beide Schriftarten lernen. Holzplättchen oder Steine der Kinder, die an diesem Tag nicht da sind, kommen in einen anderen Korb, um zu visualisieren, wer nicht da ist. Die Kinder lernen so auch die Namen anderer zu lesen. Auch das Wetter wird für die Woche visuell festgehalten. Ist es sonnig, bekommt das Bild mit der Sonne eine Kugel. Am Ende der Woche schauen sie wie viele sonnige, bewölkte, regnerische Tage etc. es gab. Danach haben sie noch eine halbe Stunde Unterricht bis 10:45. Anschließend frühstücken die Kinder bis 11:00 in ihrem Klassenzimmer, dann gehen sie bis 11:30 raus auf den Schulhof. Von 11:30 bis 12:30 haben sie wieder Unterricht, aber erst müssen sie sich die Hände waschen, bevor es weiter geht. Dazu werden sie tischweise aufgerufen. Von 12:30 bis 15:00 haben sie eine lange Mittagspause (siesta). Sie bekommen das Mittagessen in den Klassenraum geliefert, nach dem Essen können sie spielen oder sich am pädagogischen Material bedienen. Von 15:00 bis 16:30 haben sie dann eine letzte Unterrichtseinheit. Unterrichtsfächer sind beispielsweise Musik, rechnen, schreiben, lesen, Sport, Kunst, Englisch (ab 5 Jahren), Emotionslehre und Projekt. Schreiben und lesen lernen die Kinder in der Vorschule auf katalanisch, ab der Grundschule kastilisch. Einmal in der Woche gehen die Kinder in einen auf Montessoripädagogik basierten Raum, in dem sie spielen können. Es gibt mehrere verschiedene Spielinseln, an denen jeweils bis zu vier Kinder spielen dürfen. Ein anderes Mal in der Woche mischen sich alle Altersgruppen, denn dann können die Kinder wählen zwischen Kunst und Konstruktionen, Tablets und Bienenbots, Geschichten und Theater, kooperativen Spielen, kreativem Arbeiten mit Licht, Tanzen und Bewegung, Spielen im Montessori-Raum und Schach. IMG 0766 min

Ich durfte während meines Aufenthalts in der Vorschule in zwei Gruppen hospitieren, in einer 1. Klasse (3 Jahre) und einer 3. Klasse (5 Jahre). In der 3. Klasse war ich im Leseunterricht dabei. Die Stunde startet der Lehrer immer mit zwei Liedern zum Alphabet auf Youtube, die die Kinder mitsingen: „alfabet fonetic català“ und „abecedari català de Jean Paul Wabotai“. Die Kinder lasen anschließend Silben, Wörter und kurze Sätze vor und verbanden auf einem Arbeitsblatt Bilder von Kleidungsstücken mit den dazu gehörigen Wörtern auf katalanisch. Es erinnerte mich schon sehr an den Unterricht, den wir aus der Grundschule kennen. In der 1. Klasse war ich in einer Musikstunde dabei. Es ging um Rhythmus und Gegensätze wie langsam und schnell oder laut und leise. Die Kinder sollten auch Melodien, bzw. Lieder, und Instrumente erkennen. Im Sitzkreis wurde gesungen, geklatscht und gestampft. Jedes Kind hat einen eigenen Platz im Kreis, der auf dem Boden sogar durch Bilder gekennzeichnet ist, damit die Kinder sich nicht um einen Platz streiten, sich umsetzen oder verschieben. Trotzdem verschieben sich die Sitzplätze immer wieder in Richtung Lehrerin. Wenn die Lehrerin etwas zeigt, wollen alle Kinder ganz nah dran sein und verlassen ihren Platz. Den Kindern fällt es schwer an einem Platz sitzen zu bleiben. Immer wieder müssen sie dran erinnert werden, dass sie auf ihren Platz sollen. Es wirkt teilweise sehr wuselig und chaotisch im Sitzkreis. Aber die Kinder scheinen Spaß zu haben, vor allem als sie sich auf Trommelschlag mal schnell und mal langsam durch den Raum bewegen dürfen. Der Unterricht wirkt noch sehr verspielt und kindgerecht. Ich kann mir allerdings kaum vorstellen, wie sich die Motivation auf Dauer im Lese- und Schreibunterricht hält. Leider konnte ich mir diesen Unterricht in der 1. Klasse nicht ansehen. Am Ende des Tages habe ich sehr gemischte Gefühle. Ich bin einerseits beeindruckt von dem System und der Struktur der Vorschule in frühem Alter, bin mir aber nicht sicher, ob man den Kindern damit einen Gefallen tut. Ich erkenne Elemente eines Kindergartens wieder, habe aber den Eindruck dass der schulische Aspekt schon größer ist. Auf der einen Seite steht die frühkindliche Förderung, auf der anderen Seite das verspielte Kind. Die Kinder stehen zwar unter keinem Leistungsdruck, sie bekommen keine Noten, dennoch wird von ihnen die Teilnahme am Unterricht erwartet. Die Balance zwischen Spiel und Lernen ist hier besonders wichtig. Am Ende hängt es wahrscheinlich vom Kind selbst und dessen Lehrern ab, ob es funktioniert.